Flexibilisierung in der Berufsbildung

Von | 9. Juni 2019

Ein Bericht von Prof. Dr. Sabina Seufert, Institut für Wirtschaftspädagogik Universität St. Gallen, zu «Flexibilisierung der Berufsbildung im Kontext fortschreitender Digitalisierung» zu Handen des Staatssekretariats für Berufsbildung.

Artikel Berufsbildung

noch flexibler auf die veränderten Anforderungen proaktiv agieren zu können.

Ein zentraler Treiber für diese hohe Dynamik sind die digitale Transformation und die Auswirkungen des technologischen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft 

Eine fundamentale Änderung der Arbeitswelt ist wahrscheinlich 

Welche (neuen) Möglichkeiten gibt es, die Berufsbildung (-> auf ZUKUNFT ICT ändern) flexibler zu gestalten? 

Die 10 Leitlinien als Diskussionspunkte:

  1. Die Berufsbildung befähigt Menschen nachhaltig für den Arbeitsmarkt
  2. Die Berufsbildung vermittelt bedarfsgerechte Kompetenzen, 
  3. Die Berufsbildung ermöglicht individuelle Bildungswege und Laufbahn‐ entwicklungen, 
  4. Die Berufsbildung ist horizontal und vertikal durchlässig, 
  5. Die Berufsbildung ist flexibel, 
  6. Die Berufsbildung setzt qualitative Massstäbe, 
  7. Die Berufsbildung ist stets auf dem neuesten Stand, 
  8. Die Berufsbildung ist national und international anerkannt, 
  9. Die Berufsbildung ist bekannt und wird verstanden 
  10. Die Berufsbildung ist effizient strukturiert und solide finanziert.

Organisationslogik

Zusätzliche Flexibilisierungsoptionen sowie die konsequente Umsetzung der Leitlinien im Leitbild «Berufsbildung 2030» können deshalb erst dann entstehen, wenn ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in der Organisationslogik der Berufsbildung stattfindet in folgenden Kategorien: 

  1. von der klaren Trennung zwischen Aus‐ und Weiterbildung hin zu einer lebensphasengerechten Kompetenzentwicklung, 
  2. von einer eher Fremd‐ zu einer stärkeren Selbststeuerung der Bildungsprozesse, 
  3. von einer Defizit‐ zu einer Potenzialorientierung, 
  4. von einer Input‐ zu einer stärkeren Outputorientierung, insbesondere die Organisation nach Leistungszielen anstatt Jahrgangsklassen), 
  5. von einer Produkt‐ zu einer Prozessorientierung im Hinblick auf curriculare Strukturen und das Orchestrieren von Lernaktivitäten zur Entwicklung von Kompetenzen, sowie 
  6. von geschlossenen Systemen und Plattformen hin zu offenen Systemen in einem digitalen Ökosystem in der Berufsbildung.

Modulares Baukastenmodell; Kapitel 5

Agilität als Antwort auf die digitale Transformation S. 10
Selbstorganisation“ ist ein Paradigma, das sich in neuen Arbeits‐ und Organisationslogiken manifestiert, mit denen die Agilität von Unternehmen gesteigert werden soll. 

Paradigmenwechsel in der Organisationslogik S12/13

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Lebensphasengerechte Kompetenzentwicklung statt Aus‐ und Weiterbildung !!

Selbststeuerung statt Fremdsteuerung !!! SE:MI KOMBINIERT MIT individuellen Lernwegen

Auf individueller Ebene ist selbstgesteuertes und selbstverantwortliches Lernen eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir in Zukunft den immer schneller wechselnden Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft gerecht werden. Selbststeuerung ist dabei als Selbstmanagement zu interpretieren in dem Sinne, dass das Individuum die Initiative ergreift, um Ziele, Inhalte, Orte sowie auch die Bewertung von Lernprozessen aktiv zu gestalten.

Output‐ statt Inputorientierung

Die Organisation des Berufsbildungssystems sollte von einer Inputorientierung (z.B. Organisation von Lernenden in fixen Jahrgangsklassen) zu einer Outputorientierung verändert werden. Dies bedeutet, dass Lernprozesse nicht primär in Klassenkohorten organisiert werden, sondern nach Leistungszielen. Dies ist die Grundvoraussetzung dafür, dass flexible Organisationsformen und personalisierte Lernpfade für heterogene Lerngruppen vorgenommen werden können.

Prozess‐ statt Produktorientierung

Für Bildungsverantwortliche rückt daher die Organisation von Bildungsprozessen in den Vordergrund, das heisst, das Orchestrieren von Lernaktivitäten und das Unterstützen von den Lernenden beim eigenständigen «Design» der eigenen Bildungsprozesse.

Offene Systeme in einem digitalen Ökosystem statt geschlossene Systeme und Plattformen

Offene Systeme sichern Zugang zu offenen Lerninhalten (open educational resources, Dillenbourg, 2016). Digitale Ökosysteme liefern zudem eine Umgebung für Open Innovation in der Bildung (z.B. Sicherung von «Open KI»), um die Chancen der fortgeschrittenen Digitalisierung, insbesondere basierend auf Big Data und Künstliche Intelligenz für Bildungsdienstleistungen nutzen zu können. In einem solchen digitalen Ökosystem können vielfältige Co‐Creation‐Prozesse mit Nutzern und Partnern stattfinden, die aufgrund von Netzwerkeffekten gemeinsam bei der jeweils eigenen Weiterentwicklung vorankommen (Forbes, 2014). Damit kann ein rechtlich geschützter Bildungsraum sichergestellt werden, um gleichzeitig auch die zu starke Abhängigkeit im Bildungsbereich von grossen digitalen Plattformanbietern zu verhindern.

3.2.5 Verbindung zwischen Aus‐undWeiterbildung

Eine weitere konzeptionelle Grundfrage bezieht sich auf die Verschränkung von Aus‐ und Weiterbildung, um damit flexible Lernwege und Entwicklungsperspektiven zur höheren Berufsbildung aufzuzeigen.

3.3.2 Steuerungsprozess Ordnungsgrundlagen

Auf der Steuerungsebene stellt sich zunächst die Frage, wie eine schnelle Anpassung von Berufsbildungsverordnungen ermöglicht werden kann:

  • Erhöhung der Veränderungsgeschwindigkeit im Steuerungsprozess: Verkürzung der Zeit für die Überarbeitung der Ordnungsgrundlagen, z.B. statt alle 5 Jahre wird alle 3 Jahre eine Curriculum‐ Reform vorgenommen;
  • Falls ein modulares Berufsbildungssystem vorhanden ist, besteht die Möglichkeit, dass nur einzelne Module bzw. Bildungsbausteine aktualisiert werden müssen, die einer höheren Veränderungs‐ geschwindigkeit unterliegen. Der Steuerungsprozess wird damit insgesamt beschleunigt;

Flexibilisierungsoptionen auf der Umsetzungsebene

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Flexiblere Gestaltung der Aus‐ und Weiterbildung von Bildungspersonal

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Konkret bedeutet dies, dass nicht nur neue pädagogische Konzepte, Lehrplanentwicklungen, Quali‐ tätssicherungsverfahren und Managementaufgaben («Digital Leadership») notwendig sind. Auch sind neue Kompetenzen erforderlich, um die Chancen und Risiken einer fortgeschrittenen Digitalisierung, von Big Data und Learning Analytics sowie Künstlicher Intelligenz für den Einsatzbereich in der Bildung, zu verstehen und gestalterisch wirken zu können. Dabei wird die gemeinsame Schulentwicklung im Team und in (digitalen) Netzwerken an grosser Bedeutung zunehmen – diese Herausforderungen sind in von «Einzelkämpfertum» geprägten Bildungsinstitutionen nicht zu stemmen. Rahmenbedingungen sind zu schaffen, welche insbesondere den erforderlichen Kulturwandel und eine stärkere Selbstorganisation in den Bildungsinstitutionen unterstützen. Arnold (2015) schlägt beispielsweise auch vor, nicht mehr von Ausbildner/in zu sprechen, sondern von «systemischen Lernberatern» (S. 39) im Kontext des betrieblichen Lernens, da sie die Spezialisten für das Lernen und die Kompetenzentwicklung in den Betrieben sind.

Formen der Flexibilisierung: Zugang zu Wissen

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Beurteilung

  • Formativ
  • Summativ
  • Zertifizierung 
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Formen der Modularisierung

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Anbieterorientiert <-> Nachfragerorientiert

Chancen und Gefahren einer Modularisierung

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Zukunftsbild: Modulare Berufsbildung in einem digitalen Ökosystem?

Abschliessend sollen die zuvor konturierten Flexibilisierungsoptionen in einem Zukunftsbild zusammengefasst werden. Neue Potenziale für ein flexibles Berufsbildungssystem ergeben sich durch neue Organisationslogiken, insbesondere durch den Aufbau eines offenen digitalen Lern‐Ökosystems in einem rechtlich geschützten digitalen Datenraum, in dem der Lernende durch eine personalisierte, intelligente Lernumgebung unterstützt wird. Als Entwicklungsstufe bzw. Zwischenschritt auf dem Weg dahin können flexible Netzwerkstrukturen und Blended Learning Szenarien im Rahmen einer abgestimmten Lernortkooperation angestrebt werden.

Der Arbeitsplatz der Zukunft wird von intelligenten IT‐Systemen (KI‐ bzw. AI‐Systemen) und durch innovative Arbeits‐ und Lernkonzeptionen, die durch Selbstorganisation und Kompetenzorientierung geprägt sind, bestimmt. Die Verbindung zwischen formaler (z.B. nach Modultypen strukturiert, mitintegrierenden Zertifizierungen), non‐formaler (z.B. Internetrecherche als Hausaufgabe bzw. Transferauftrag am Arbeitsplatz) und informeller Bildung (z.B. Lernen in der Freizeit mit einem MOOC) wird bei diesem Konzept explizit unterstützt. Durch die zunehmende Digitalisierung werden Trainingssysteme immer stärker direkt in Geschäftsprozesse integriert werden. Professionsspezifische Cognitive Computing Systeme stellen intelligente Wissensmanagementsysteme dar, welche neue Anreizmuster zur Kollaboration bieten, Expertenwissen in einer professionellen Gemeinschaft zu teilen. Verschiedene, fach‐ bzw. domänenspezifische Wissensontologien können verbunden werden mit mehrschichtigen Algorithmen zum Lernverhalten, um den Lernprozess der Lernenden kontinuierlich zu optimieren.

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