Kompetenzorientierung allein macht noch keinen guten Unterricht

Von | 7. Januar 2023

Quelle:

https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/9224/file/kentronExtra-2011_online.pdf

2.2. Arbeitsdefinitionen „Kompetenz“ und „kompetenzorientierter Unterricht“

Man kann Kompetenzen nicht sehen, riechen oder fühlen. Das beweisen auch die Ergebnisse der Neurowissenschaften. Man sieht nur, was Menschen mit Hilfe ihrer Kompetenzen zustande bringen.

Definition 1: 

Eine Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit, durch Erfahrung und Lernen erworbenes Wissen und Können in immer wieder neuen Handlungssituationen selbstständig, verantwortungsbewusst und situationsangemessen anzuwenden.

Definition 2

Kompetenzorientierter Unterricht ist ein offener und schüleraktiver Unterricht,

  1. in dem die Lehrerinnen und Lehrer ihre Unterrichtsplanung, die Durchführung und Auswertung an fachlichen und überfachlichen Kompetenzstufen-Modellen orientieren,
  2. in dem die Schülerinnen und Schüler die Chance haben, ihr Wissen und Können systematisch und vernetzt aufzubauen
  3. und in dem sie den Nutzen ihres Wissens und Könnens in realitätsnahen Anforderungs- und Anwendungssituationen erproben können.

Was ist neu am KoU?

  • Neu ist der Tatbestand, dass die Lernziele nun als Kompetenzen ausgewiesen werden. Das heißt: Jede Kompetenzforderung ist zugleich ein Lernziel, aber nicht jedes Lernziel wird kompetenzorientiert definiert.
  • Neu ist die Idee, in Kompetenzstufen zu denken und zu handeln.
  • Neu ist in vielen Kerncurricula die Erweiterung des Lernzielspektrums. So wird im Englischunterricht die Kommunikationskompetenz noch mehr betont als früher; im Biologieunterricht kommt die „Bewertungskompetenz“, z.B. im Bereich der Humangenetik, hinzu. (Aber solche Erweiterungen hätten problemlos auch ohne das Konzept des KoU eingeführt werden können.) 
  • Neu ist die inzwischen flächendeckend umgesetzte kompetenzorientierte Leistungsüberprüfung mit Hilfe von regelmässig in verschiedenen Altersstufen durchgeführten Vergleichsarbeiten (VERA).

Was ist alt am KoU?

  • Die Kernidee der Kompetenzorientierung ist weder neu noch sonderlich originell. Sie besagt doch nur, dass die Schülerinnen und Schüler dort abgeholt werden sollen, wo sie stehen.
  • Über 200 Jahre alt ist die Forderung, die Selbstregulationskräfte der Schüler zu stärken.
  • Wer kompetent ist, soll verantwortungsbewusst handeln. Was als verantwortungsbewusst gilt, ist eine individuelle Entscheidung der gebildeten Person, aber immer auch gesellschaftlich normiert. Dafür sind Leitlinien erforderlich, die nicht aus der Kompetenz selbst stammen, sondern als Haltungen und Wertüberzeugungen dem Denken und Handeln vorgelagert sind.
  • KoU soll systematisch und vernetzt aufgebaut sein. Das wird auch als „kumulativer Wissensaufbau“ bezeichnet – eine uralte Idee, die als erstes von Johann Amos Comenius formuliert und dann von Johann F. Herbart auf eine theoretische Basis gestellt worden ist.
  • Die dritte Forderung aus Definition 2, Anwendungsbezüge und Anforderungssituationen herzustellen, ist auch nicht neu. Sie gehört ebenfalls zum Kernbestand der Didaktik seit über 100 Jahren. Deshalb sagen viele Praktiker: „Kompetenzorientierung heisst für mich, handlungsorientiert zu unterrichten!“ Richtig!

Rainer Lersch aus Marburg (in: Faulstich-Christ u.a. 2010, S. 41) hat ein umfassendes Konzept zum KoU vorgelegt. Im Mittelpunkt steht ein Strukturmodell für KoU. Darin wird Punkt 3 meiner zweiten Definition zum „Kern kompetenzorientierter Lehrprofessionalität“ erklärt. Hinzu kommt eine Rahmung mit dem sogenannten Angebots-Nutzungs- Modell von Helmke (siehe unten):

Quelle: Rainer Lersch (2010)
kentronExtra-2011_online

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