Sicherheitspolitik und digitale Souveränität

Von | 4. Oktober 2019

Gastkommentar von Erich Vad in der NZZ vom 4.10.2019

Wir befinden uns in einem rasanten Prozess der Diversifizierung internationaler Machtverhältnisse. Die USA sind auch im digitalen und im virtuellen Raum weiterhin dominant: Amazon, Google, Microsoft, Apple, Facebook sowie Ebay oder Youtube, Netflix oder iTunes zeigen ihre digitale Führerschaft. Sie werden ernsthaft nur von China herausgefordert. Weltweit agierende US-Konzerne dehnen ihre Aktivitäten auf andere Geschäftsfelder wie autonome Fahrzeuge, die Raumfahrt, Drohnen und künstliche Intelligenz aus.

Reichtum und Wohlstand werden künftig zunehmend auf den strategischen Ressourcen Wissen, Information und Kommunikation beruhen. Nicht mehr das militärische Beherrschen von Territorien steht im Vordergrund. Es geht vielmehr um die Kontrolle und das Beeinflussen des ungehinderten Flusses von Wissen, Daten und Informationen. Mit Blick auf die Möglichkeiten und Risiken der Digitalisierung gilt heute: Souverän ist heute, wer die Informationshoheit hat und den weltweiten digitalen Datenfluss kontrolliert.

Auch in der Schweiz nutzen beinahe alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens die vom Cyberraum zur Verfügung gestellten Möglichkeiten. Staat, kritische Infrastrukturen, Wirtschaft und Bevölkerung sind als Teil einer zunehmend vernetzten Welt auf das verlässliche Funktionieren der Informations- und Kommunikationstechnik sowie des Internets angewiesen. Cybersicherheit und das Erhalten digitaler Souveränität werden damit zu zentralen Aufgaben und Anliegen für den Staat. Dies gilt auch für international agierende Wirtschaftsunternehmen sowie für die Gesellschaft, die politische Willensbildung und die Demokratie. Dazu gehört auch die digitale Transformation und Vernetzung der staatlichen Sicherheitskräfte der Schweiz, ihrer Geheimdienste, der Polizei und des Militärs. Vor diesem Hintergrund stellen sich aktuelle, zu diskutierende und zu beantwortende Fragen: Wie schaffen wir eine gesunde Balance zwischen kantonalen Zuständigkeiten und gesamtstaatlichem Handlungsinteresse? Wo gibt es gesetzlichen Regulierungsbedarf? Wie gehen wir mit neuen disruptiven Technologien wie künstlicher Intelligenz oder Blockchain um? Und welche Rolle kommt dabei dem Nationalstaat, internationalen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen zu?

Der Cyberraum und die Möglichkeiten koordinierter Angriffe auf kritische zivile und militärische Infrastrukturen sind zum primären Kriegsschauplatz geworden. Parallel dazu wird die Kriegführung auf Distanz mit bewaffneten Drohnen und Kleinstflugkörpern treten. Robotik und künstliche Intelligenz ermöglichen autonome, selbstlernende und menschenähnliche Maschinen sowie «Fire and Forget»-Waffensysteme, autonom operierende Drohnen und Waffenplattformen. Sie können selbständig Ziele unterscheiden und bekämpfen. Entsprechende Technologien werden immer handhabbarer für jedermann, billiger und kleiner. Sie haben das Potenzial, das Austragen künftiger Konflikte und das internationale Mächtesystem zu verändern. Strategisches Denken darf diesen technologischen Entwicklungen der Digitalisierung nicht hinterherhinken.

Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft sind durch Cyberattacken angreifbar und in hohem Masse verwundbar. Netzüberwachung und optimierte Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste erscheinen hier als das am besten geeignete Instrumentarium. Sie bergen aber Risiken für die Freiheit und Liberalität demokratischer Staaten. Und: Die Frage nach der politischen Souveränität steht im Raum. Es geht konkret um Kontrollmöglichkeiten des Staates über die physischen Netzinfrastrukturen, die Datenverarbeitung und Dateninhalte bis hin zur Regulierung des Internets.

Das Internet wird zur Waffe, wenn Terroristen es nutzen und Angriffe auf Computersysteme, auf die Elektrizitäts- und die Trinkwasserversorgung, auf Staudämme, den Bahnverkehr, Verkehrsleitsysteme oder die Flugsicherung verüben. Die Wahrscheinlichkeit des Cyberterrorismus kann derzeit noch als gering eingestuft werden, gleichwohl muss auch hier die Proliferation bereits fertiger Schadsoftware in Rechnung gestellt werden. In der digitalen Gesellschaft von morgen kann man diese Lebensbereiche nicht mehr klar unterscheiden, ebenso wenig wie die ehemals klare Unterscheidung von Krieg und Frieden. Wenn es den Gegnern unseres Landes gelingt, die Normen, Werte und Meinungen unserer Bürger zu manipulieren und damit friedlich zu «besetzen», dann haben wir den Cyberkrieg definitiv verloren, noch ehe er mit Gewalt ausgetragen wurde. Verteidigung im digitalen Zeitalter bedeutet, die digitale Infrastruktur des Landes und zumindest seine zentralen Datenflüsse vollumfänglich und unter allen Bedingungen schützen zu können.

Erich Vad, deutscher General a. D., war langjähriger militärpolitischer Berater von Angela Merkel und ist heute als Unternehmensberater und Hochschullehrer in Deutschland und der Schweiz tätig.

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