The Onion Routing; TOR

Von | 29. November 2020

Die Geschichte von TOR, lesenswerter Artikel in heise.de

Es ist, wie es ist: Am Anfang war das Militär. TOR (The Onion Routing) ist ein Kind militärischer Forschung. Heute gehört die Anonymisierungstechnologie zum Kern-Portfolio digitaler Selbstverteidigung und gilt als wichtigster Gegenspieler staatlicher Überwachung. Während die Infrastruktur maßgeblich von der deutschen IT-Community gestellt wird, läuft die Finanzierung traditionell über Fördertöpfe der US-Regierung. Erst mit 25 Jahren ist TOR endlich erwachsen geworden, zumindest ein bisschen. Wie ein gerade vorgestellter Jahresbericht zeigt, stammt erstmals weniger als die Hälfte des Budgets von der US-Regierung. TOR steckte von Anfang an voller Widersprüche.

Tor gilt im Jahr 2020 als wichtigster Gegenspieler von Überwachung und Zensur. Die offiziellen Nutzungszahlen des Tor-Statistikportals Metrics zeigen jedoch, dass Tor insgesamt eine Nischentechnologie ist, mit aktuell nicht mehr als weltweit etwa 2 Millionen täglichen Nutzerinnen und Nutzern. Die mit Abstand meisten Tor-Zugriffe kommen aus den USA, dann folgen Russland, Deutschland, die Niederlande und Frankreich. Aus Deutschland kommen täglich etwa 190.000 Tor-Zugriffe.

Wie genau diese mathematisch modellierten Zahlen die Realität wiedergeben, kann allerdings niemand sagen. Eine 2018 von Forschern verlinkte Methode errechnete acht statt zwei Millionen weltweite Tor-User.

25 Jahre nach seiner Gründung als Militärprojekt ist Tor führend im Bereich der Darknet- und der dezentralen Anonymisierungstechnologien. Von Tag Null an war das Projekt voller seltsamer Widersprüche gewesen.

Da ist zum einen der Umstand, dass der heute wichtigste Gegenspieler staatlicher Überwachung ein Kind des US-Militärs ist. Ein Zitat aus einer Mail des NRL-Informatikers Michael Reed macht klar, worum es bei der Entwicklung ging: „Der Zweck war eine Nutzung durch Militärs und durch Geheimdienste“. Es sei nicht darum gegangen, etwa Oppositionellen in autoritär regierten Ländern zu helfen.

Formal ist das Tor Project seit seiner Gründung unabhängig, finanziell ist es jedoch bis heute eng mit dem US-Regierungsapparat verwoben. Das ist der größte Widerspruch: Der wichtigste Gegenspieler staatlicher Überwachung lässt sich von der Regierung finanzieren, die eines der unverschämtesten Überwachungsprogramme der Welt betreibt und dessen technischer Geheimdienst NSA an der Kompromittierung von Tor arbeitet und Tor, laut Snowden-Leaks, abgrundtief hasst („Tor stinkt“).

Bis 2015 speiste sich das Tor-Budget fast ausschließlich aus US-amerikanischen Regierungs- und Behördenquellen. Die Zahlungen kamen vor allem von vier Geldgebern:

  • dem US-Verteidigungsministerium,
  • dem US-Außenministerium sowie
  • Radio Free Asia (RFA), einem staatlicher Auslandssender, der vom US-Kongress finanziert wird und
  • der National Science Foundation (NSF), einer ebenfalls vom Kongress finanzierten Behörde zur universitären Forschungsförderung.

Für einen weiteren großen Widerspruch sorgt das Tor-Darknet. Diese „virtuelle Top-Level-Domain“ bringt die Zwiebeltechnologie immer wieder in die Schlagzeilen. Nach Aussagen von Dingledine ist sie aber nur eine Nischenanwendung innerhalb der Nischentechnologie Tor.

Auf der Hacker-Konferenz Def Con sagte Roger Dingledine, dass nur zwischen einem und drei Prozent der User mit Tor tatsächlich auch ins Darknet gingen, während die anderen die Software zur Umgehung von Überwachung und Zensur im normalen Internet nutzten. Das ergäbe bei etwa zwei Millionen täglichen Tor-Zugriffen weltweit nur maximal 60.000 tägliche Darknet-Nutzerinnen und Nutzer, davon nicht mehr als 6.000 aus Deutschland.

Mit dem real existierenden Darknet scheint das Tor Project zu fremdeln. Bei kritischen Fragen zur inhaltlichen Verantwortung taucht man ab. Die Organisation leidet unter dem schlechten Ruf des Darknets, der auf Tor abfärbt. 2014 wurde gar eine PR-Agentur engagiert, um das öffentliche Bild von Tor zu verändern. Man hatte nach einem positiveren Begriff für das Wort Darknet gesucht, etwa „Onionspace“, aber keinen besseren Vorschlag gefunden.

Dass die Öffnung von Tor zu Problemen führen wird, war von Anfang an klar gewesen. Am Ende des ersten Papers aus dem Jahr 1996 hieß es: „Es gibt eine offensichtliche Spannung zwischen Anonymität und Strafverfolgung.“ Als mögliche Lösung schlugen Syverson und Kollegen ein System von hinterlegten Schlüsseln vor, dass Ermittlungsbehörden ein Aushebeln der Anonymität erlauben würde – dieser Ansatz wurde, das ist allgemeiner Konsens, nicht umgesetzt.

All diese unvereinbaren Gegensätze vereint Tor scheinbar mühelos. Tor hilft Sicherheits- und Geheimdienstapparaten beim unerkannten Agieren im Netz, schränkt aber gleichzeitig die Möglichkeiten staatlichen Handels ein. Tor schützt vor Zensur und Überwachung und bringt damit Menschenrechte zur Geltung, hilft jedoch auch bei der Begehung schlimmster Verbrechen. Und Tor gehört zu den wichtigsten Werkzeugen digitaler Selbstverteidigung, finanziert sich aber traditionell über Gelder eines Überwachungsstaates. Wer sich darüber wundert, muss nur an den Anfangspunkt vor 25 Jahren zurückgehen, und wird sehen: diese Widersprüche waren von Anfang an angelegt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.